Schieflage Deutschland
Der frühere Präsident des Verfassungsschutzes, Dr. Hans-Georg Maaßen, ist seit Beginn des Jahres Vorsitzender des CDU-nahen Vereins „Werteunion“. Er ist überdies seit 45 Jahren CDU-Mitglied und war von 2001 bis 2016 Lehrbeauftragter an der Freien Universität Berlin. Im Interview beleuchtet Maaßen die aktuelle Politik der Bundesregierung und geht hierbei auf den stark umstrittenen deutschen Sonderweg in der Energiepolitik ein. Er betrachtet auch die gegenwärtigen Entwicklungen rund um seine Person und das Parteiausschlussverfahren gegen ihn.
FvW: Herr Maaßen, fünf Jahre ist es nun her, dass Sie nicht mehr als Präsident des Verfassungsschutzes aktiv sind. Als was treffe ich Sie heute an?
HGM: Heute treffen Sie mich als einen politischen Aktivisten. In diesem Land läuft so viel schief, weshalb ich mich auch aktiv in die politische Diskussion mit einbringe.
FvW: Wie kann man sich denn aktuell einen Tag im Leben des Herrn Maaßen vorstellen?
HGM: Ich muss meinen Tag so ordnen, dass ich politische Aktivitäten organisieren kann, ich muss aber auch als Rechtsanwalt arbeiten, das läuft zumeist parallel. Mein Tag sah heute so aus, dass ich zunächst meinen Blogbeitrag geschrieben habe, danach hatte ich ein Gespräch mit einer Journalistin von „TV Berlin“ und daraufhin habe ich mit meiner Sekretärin die Woche besprochen, und jetzt sitze ich hier mit Ihnen.
FvW: Sie haben in den vergangenen Jahren, spätestens seit dem Skandal um Ihre Aussage, dass es keine Hetzjagden in Chemnitz gegeben habe, immer wieder für Kontroversen innerhalb der CDU gesorgt. Seit Beginn des Jahres läuft daher ein Parteiausschlussverfahren gegen Ihre CDU-Mitgliedschaft. Man wirft Ihnen die Verbreitung von völkischem und antisemitischem Gedankengut vor. Wie stehen Sie zu den Vorwürfen?
HGM: Diese Vorwürfe sind völlig abwegig. Ich muss sagen, was der CDU-Vorstand beschlossen hat, bereitet einem als Jurist körperliche Schmerzen, weil es derart primitiv ist. Ich hätte auch von Friedrich Merz erwartet, der eigentlich mal einen ganz guten Ruf als Wirtschaftsanwalt und Aktienrechtler hatte, dass er wenigstens vernünftige Juristen beauftragt. Man wirft mir vor, rechtsextremes und antisemitisches Wortgut zu verwenden, ich würde dabei „Chiffren“ bedienen, die Antisemiten und Verschwörungstheoretiker verwenden, was aus meiner Sicht völlig an den Haaren herbeigezogen ist. So konnte man in der frühen Neuzeit und im Mittelalter Ketzer auf den Scheiterhaufen werfen, aber das hat mit Rechtsstaatlichkeit nichts zu tun, was die CDU in meinem Fall betreibt.
FvW: Sie beschreiben das Vorgehen als „rechtswidrig und einen Angriff auf die Meinungsfreiheit und die innerparteiliche Demokratie“. Sie sind einer der schärfsten Kritiker Ihrer eigenen Partei und auch der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Warum wollen Sie überhaupt in der CDU bleiben?
HGM: Ich meine es eigentlich gut mit der CDU. Ich bin damals in die CDU eingetreten, weil ich die Ziele und Positionen – zumindest damals unter Helmut Kohl und auch in der ersten Zeit von Angela Merkel – geteilt habe. Ich musste dann jedoch feststellen, dass danach ein Linkskurs eingesetzt hat, der nichts mehr mit den Grundwerten der CDU zu tun gehabt hat …
FvW: … mit dem Beginn der Flüchtlingskrise 2015?
HGM: Nein, das fing schon vorher an. Das waren Themen wie die Abschaffung der Wehrpflicht, die Ostpolitik von Merkel gegenüber Russland, der Ausstieg aus der Atomenergie, aber auch die Familienpolitik. Das waren alles Positionen, mit denen ich mich und viele Parteifreunde nicht identifizieren konnten und viele davor gewarnt haben, weil dies linke Politik ist, die von dieser Frau betrieben wird.
FvW: Das heißt, Sie haben sich in den vergangenen Jahren sukzessive von Ihrer politischen Heimat distanziert. Ich muss trotzdem noch mal nachfragen: Warum wollen Sie denn in einer Partei bleiben, mit der Sie sich überhaupt nicht mehr identifizieren können?
HGM: Ich würde es anders formulieren, als Sie das getan haben. Ich habe mich nicht von der CDU distanziert, sondern die CDU von sich selbst. Sie hat sich mit dieser linken Politik von Konrad Adenauer, Ludwig Erhard und auch von Helmut Kohl distanziert und das klage ich an. Ich bin der Meinung, die CDU ist nach wie vor weiterhin eine wichtige Kraft in Deutschland und mein Engagement diente dazu, die CDU zu reformieren und zukunftsfähig zu halten. Wenn sie jedoch partout diesen Linkskurs gehen will, wird sie dies in den politischen Abgrund führen und es ist daher für mich nur noch eine Frage der Zeit, bis die CDU in Deutschland keine große Rolle mehr spielen wird.
FvW: Wird die CDU Sie losbekommen oder werden Sie sich mit aller Macht gegen einen Ausschluss stellen?
HGM: Nach der bisherigen Schriftsatzlage muss ich sagen, dass die CDU juristisch wenig Chancen hat. Letztendlich entscheidet bei Parteigerichten, die ja nicht unabhängig sind, sowohl die juristische als auch die politische Komponente und da bin ich gespannt, wie dieses Parteigericht entscheiden wird.
FvW: In Ihrer Rhetorik spitzen Sie zu, Sie polarisieren mit Ihren Aussagen. Während der Flüchtlingskrise sprachen Sie beispielsweise von einem „Shuttleservice“ und im Zuge dessen von einer „grün-roten Rassenlehre“. Warum diese provokative Rhetorik, Herr Maaßen?
HGM: Ich bin nicht der Meinung, dass es provokativ ist. Wenn sich jemand bereits durch meine Anwesenheit provoziert fühlt, dann liegt das nicht an mir, sondern an der mangelnden Sensibilitätsschwelle des anderen, dass er sich durch so etwas provoziert fühlt. Ich glaube, in einer politischen Auseinandersetzung muss man die Anwesenheit von politischem Gegner aushalten können, aber man muss es auch aushalten können, wenn der politische Gegner das ausspricht, was er wahrnimmt und dies auch benennt.
FvW: Finden Sie an dieser Stelle den Begriff der „grün-roten Rassenlehre“ zutreffend?
HGM: Das, was viele aus dem links-grünen Spektrum von sich geben, ist, das muss man einfach so sagen, rassistisch. Und da hilft es auch nichts, wenn man das einfach bagatellisiert, sondern man muss aussprechen, dass es offensichtlich Menschen in Deutschland gibt, die Migranten nach Deutschland schleusen, nicht weil es sich um Flüchtlinge handelt, sondern weil sie das Ziel verfolgen, hier eine andere Gesellschaft zu etablieren.
FvW: Herr Maaßen, lassen Sie uns an dieser Stelle Ihre Causa zu den Akten legen und einen Blick auf die aktuellen politischen Entwicklungen in Deutschland werfen und einen Blick zurück auf die historischen Einschränkungen zur Zeit der Corona-Krise werfen. Zu jener Zeit kam es zu massiven staatlichen Eingriffen in die Privatsphäre der Bürger, Demonstrationen wurden verboten und der Gründer von Querdenken, Michael Ballweg, saß bis kürzlich neun Monate in Untersuchungshaft. Müssen Regierungskritiker in Deutschland mittlerweile Angst vor staatlicher Gewalt haben?
HGM: Ich kenne die von Ihnen geschilderten Fälle nicht im Detail. Was mir jedoch immer wieder zugetragen wird und was ich auch mit meinen eigenen Augen sehe, ist, dass wir nicht eine Justiz mit einer Binde für beide Augen haben, sondern eine Justiz, die auf dem linken Auge blind ist und auf dem rechten Auge mit einem Fernrohr arbeitet. Ich will sagen, dass nicht mehr unbefangen und fair in allen Bereichen ermittelt wird, sondern dass man sektoral bestimmte Personengruppen, die nicht mit der Mainstream-Politik in Übereinstimmung stehen, in besonderer Art und Weise strafrechtlich verfolgt.
FvW: Das ist ein gutes Stichwort, denn ich stand auf dem Weg zu unserem Gespräch heute im Stau, da die sogenannten Klimakleber die Straßen blockiert hatten. Wären Sie heute noch Präsident des Verfassungsschutzes, hätten Sie diese Bewegung als extremistisch eingestuft und unter Beobachtung gestellt?
HGM: Ich hätte wohl gesagt, dass es einige Gründe gibt, die dafür sprechen, diese Bewegung zumindest als einen Verdachtsfall anzusehen. Hier geht es nämlich nicht nur um Straftaten, die diese Leute begehen, Straftaten sind noch kein Grund für eine Beobachtung des Verfassungsschutzes. Die Taten dieser Menschen sind politisch motiviert und sie wollen die Politik, also Bundestag und Regierung, zu einem bestimmten Handeln zwingen. Und das ist durchaus ein Thema, das den Verfassungsschutz auf den Plan rufen sollte. Wenn ich heute noch Präsident des Verfassungsschutzes wäre, würde ich sagen, dass wir genauer hinschauen müssen, ob es hier zu einer kompletten Beobachtung kommen oder ob wir sogar ein Verbot dieser Gruppierung beantragen müssen.
FvW: Ihr Nachfolger im Amt des Verfassungsschutzpräsidenten, Thomas Haldenwang, hat sich schon mehrfach über die Klimaaktivisten geäußert und ausgeführt, dass die Bewegung nicht extremistisch sei und nicht unter Beobachtung stehe. Er kritisierte jedoch Sie für ihre „radikalen Äußerungen“; die er sonst nur vom „äußeren rechten Rand“ wahrnehmen könne. Wie beurteilen Sie diese Aussage und die Arbeit Ihres Nachfolgers?
HGM: Ich möchte die Arbeit meines Nachfolgers nicht beurteilen, das macht man in der Regel nicht. Ich habe mich während meiner Zeit als Verfassungsschutzpräsident immer dagegen gewehrt, dass der Verfassungsschutz instrumentalisiert wird für politische Zwecke, insbesondere als ein Kampfinstrument gegen den politischen Gegner. Ich beobachte mit großer Sorge, dass der Verfassungsschutz vom richtigen Wege abgekommen ist und schrittweise als ein Instrument für Zwecke benutzt wird, für die er eigentlich nicht geschaffen wurde.
FvW: Gegenwärtig wird in den Medien aber auch auf politischer Ebene viel über eine Aufarbeitung der Corona-Krise gesprochen. Die AfD fordert als einzige Partei einen Untersuchungsausschuss. Wie bewerten Sie das, muss es zu einer politischen und auch juristischen Aufarbeitung der Zeit kommen?
HGM: Natürlich! Es ist so viel schiefgelaufen, das muss aufgearbeitet werden. Ich bin allerdings vorsichtig zu sagen, dass wir eine politische Aufarbeitung in Form eines Untersuchungsausschusses brauchen, weil es nicht sein kann, dass die Leute, die verantwortlich waren für diese Politik, auch ihr eigenes Handeln untersuchen. Was wir brauchen, ist eine unabhängige Kommission mit Leuten aus unterschiedlichsten Disziplinen, und zwar mit Experten, die während der Zeit nicht mitgewirkt haben an den Entscheidungen, die zu jener Zeit getroffen wurden. Wir brauchen eine Aufarbeitung, die letztendlich auch zu einer juristischen Aufarbeitung führt, denn es ist kein Kavaliersdelikt, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu missachten und Entscheidungen zu treffen, die Freiheiten eingeschränkt haben und Leib und Leben der Betroffenen massiv tangiert haben.
FVW: Herr Maaßen, haben Sie vielen Dank für das spannende Gespräch.
Das Interview führte Flavio von Witzleben.