Während der Ukraine-Krise manipulierten die Medien ihre Leser mit antirussischen Deutungen des Geschehens.
Quelle: https://www.manova.news/artikel/die-marchen-erzahler
Zur Zeit der sogenannten Annexion der Krim durch Russland haben die Medien ihr Bestes gegeben, um Russland die Schuld für die Eskalation in die Schuhe zu schieben. Dabei arbeiteten sie mit allen Mitteln der Rhetorik und der Schreibkunst. Das wichtigste hierbei war das wiederkehrende Narrativ, welches auf unterschiedliche Art und Weise belegen sollte, dass einzig und allein Russland für die Spannungen verantwortlich sei. Dafür wird Geschichtsrevisionismus betrieben, wichtige Fakten werden ausgeblendet und die Sachlage wird dem eigenen Erzählmuster angepasst. Im Folgenden werden die Erzählstrukturen des Spiegel und des Guardian zur Zeit der Annexion der Krim untersucht und dabei die Deutungsmuster der beiden Magazine verglichen. Es handelt sich um einen Auszug aus der Bachelorarbeit des Autors zum Thema „Das Narrativ westlicher Medien am Beispiel der Annexion der Krim“.
Das Narrativ als Orientierungshilfe
Ein Narrativ bedeutet, etwas in „erzählender Form darstellend“, wie es im Duden heißt. Ein Narrativ transportiert Geschichten, Werte und Emotionen und bezieht sich in der Regel auf einen bestimmten Kulturkreis (1). Bezogen auf politische Erzählungen, beschreibt der Begriff „einzelne politische Forderungen oder Konfliktlinien“, der diese in einen „umfassenderen ideologischen, normativen und historischen Kontext einordnet und damit kollektive Identitäten formt“ (2).
Ein Narrativ kann also einer Gesellschaft Orientierung geben und Zuversicht vermitteln, ohne die jeweilige Argumentation immer klar belegen zu müssen. Narrative sind immer eng mit Wertvorstellungen verbunden und einer daraus resultierenden gesellschaftlichen Ordnung.
Der „American Dream“ und die damit verbundene Vorstellung, es „vom Tellerwäscher zum Millionär“ zu schaffen, ist beispielsweise ein solches Narrativ, das von allen politischen Parteien zu dieser Zeit verwendet worden ist und nicht vom Wahrheitsgehalt der Sache geprägt ist, sondern vielmehr vom gemeinsan geteilten Bild (2).
Derartige Narrative können auch als politische Mythen bezeichnet werden, welche dann versichern, „dass die zu meisternden Aufgaben bewältigt werden können, weil das damals auch gelungen ist“. Sie schaffen Orientierung und Zuversicht und sind damit kognitive wie emotionale Ressourcen der Politik“ (3).
Die Rolle der Agenturen
Die Untersuchung bezieht sich auf einen Zeitraum vom 26. Februar 2014 bis zum 5. Mai 2014. Dieser Zeitraum begründet sich daher, dass es nach den Schüssen auf dem Maidan (am 20. Februar 2014) und der darauf folgenden Flucht des Präsidenten Viktor Janukowitsch anschließend zu ersten Zusammenstößen auf der Krim kam und erstmalig der mediale Fokus auf die Krim gerückt ist. Vom 5. Mai 2014 stammt der letzte ausgewertete Artikel, da tags zuvor rund 5.000 Krimtataren die Grenze zum ukrainischen Festland stürmten, um ihrem Anführer Mustafa Dschemilew die Einreise zu ermöglichen, die ihm von Russland untersagt worden war.
Insgesamt wurden 13 Artikel ausgewertet, wovon die Hälfte von Spiegel-Online oder der Print-Version des Spiegel sind. Der Spiegel stellt in seinem Online-Angebot ein Archiv zur Verfügung, das einem den Zugriff zu allen Online-Artikeln ermöglicht und darüber hinaus auch die Print-Version bis zum Gründungsjahr 1947 online abrufbar ist.
Bei den Meldungen auf Spiegel-Online ist sehr stark zu beobachten, dass ein Großteil der Nachrichten Agenturmeldungen sind, die von AP (New York), AFP (Paris) und Reuters (London) übernommen werden. Nur ein Teil der täglichen Meldungen sind Meinungsartikel, die ein aufgeführter Autor verfasst hat. Diese Artikel sind dann etwas ausführlicher und beziehen im Gegensatz zu den Agenturmeldungen auch klare Positionen. Es wurden daher nur derartige Artikel ausgewertet, da die anderen das Narrativ der Agenturen wiedergeben aber nicht das des Spiegel.
Die Artikel, die in der Print-Version des Spiegel erschienen sind, sind wesentlich ausführlicher, differenzierter und betrachten die Sachlage zumeist aus verschiedenen Blickwinkeln. Bezogen auf die Narrative, lassen sich auf den Untersuchungszeitraum und den Untersuchungsgegenstand (Annexion der Krim) drei Deutungsmuster bei Spiegel und Spiegel-Online feststellen.
Das historische Narrativ
In seinen Ausführungen greift der Spiegel immer wieder auf historische Vergleiche zurück und wertet das russische Eingreifen und die russische Politik als nicht kompatibel mit den Verfahrensnormen des Westens. So interpretiert Der Spiegel die russische Politik wie folgt: „Gewalt ist nach 1991 ein probates Mittel russischer Politik geblieben; eine Politik des politischen Kompromisses, wie sie der Westen pflegt, wird als Schwäche ausgelegt. So tickt nicht nur der Kreml, sondern fast die gesamte russische Gesellschaft“ (4).
Auch auf den historischen Vergleich des damaligen Finanzministers Wolfgang Schäuble zwischen der Annexion des Sudentenlandes von Adolf Hitler 1938 und der Annexion der Krim durch Putin, schrieb der Spiegel: „(…) in Hitlers Rede vom 26. September 1938 im Berliner Sportpalast und in Putins Kreml-Auftritt vom 18. März finden sich erstaunlich ähnliche Argumente(…). Warum soll das verschwiegen werden? Und warum soll verschwiegen werden, dass die mediale Vorbereitung der Krim-Annexion im russischen Fernsehen mit all ihren Lügen und ihrer Hetze an die Propaganda von Joseph Goebbels erinnerte?“ (4).
Hierbei werden zwei Interpretationsmuster angeschnitten: Zum einen, dass es durchaus legitim sei, Putin mit Hitler zu vergleichen, und zum anderen wird auf die russische Propaganda verwiesen, die historisch mit jener von Joseph Goebbels vergleichbar sei. Des Weiteren dient der russische Einfall in Georgien 2008 immer wieder als Beispiel für das russische Agieren in der Ukraine und auf der Krim: „Nach fünf Tagen Krieg (in Georgien) lässt Putin seinen Präsidenten Medwedew die beiden abgespaltenen Republiken Abchasien und Südossetien zu Protektoraten erklären. (…) Ein mögliches Modell für die Krim?“ (5).
Geteilt wird diese Ansicht vom Moskau-Korrespondent des Spiegel, Benjamin Bittner, der in einem Artikel mit der Überschrift „Operation Protektorat“ zum Ausdruck bringt, dass Russland die Situation nutze, „um militärische Fakten zu schaffen“ und die Krim praktisch wie ein „innoffizielles Protektorat“ verwalten würde (6).
Bezüglich der deutschen Mentalität und dem historischen Verhältnis zwischen Deutschland und Russland ist immer wieder davon die Rede, dass die Deutschen „endlich aufhören müssen, einen verklärten Blick auf Putins Reich zu werfen“ (4) und dass Deutschland ein Land „voller Putin-Versteher“ sei (7).
Hier sind erneut zwei Deutungsmuster zu erkennen: Die Deutschen müssten endlich erkennen, dass Russland unter Putin militärisch aggressiv agiert und keinerlei Werte vertritt, die sich mit den unseren vereinbaren lassen.
Darüber hinaus sei das historische Russlandbild der Deutschen verklärt: „Unser Bild von den Russen wird von alten Schuldgefühlen bestimmt und von dem Bestreben, diese Schuld abzutragen. Und vom Versuch, Fehler lieber bei uns selbst zu suchen. Damit entfernt sich dieses Bild noch weiter von der Realität“ (4). Auf parteipolitischer Ebene bringt der Spiegel zum Ausdruck, dass die Partei „die Linke“ historische Bezüge zu Russland habe und daher Verständnis für dessen Handeln hat: „Russland verstehen, mit Russland reden. Das ist die Politik, die die Linke in der Krim-Krise anbietet. Es sind alte Muster, die sich aus den Prägungen der Parteiströmungen — hier die DDR-Staatsräson, dort westdeutscher Antikapitalismus –ergeben“ (4).
Das expansionistische Narrativ
In den untersuchten Artikeln kommt immer wieder zum Ausdruck, dass die Annexion der Krim nur der erste Schritt Russlands sei, um die ehemaligen Gebiete der Sowjetunion wieder zurückzuerlangen. So wird argumentiert, dass Putin bestrebt sei, nicht nur die Krim und die Ukraine zu destabilisieren, sondern sich die gesamte Region militärisch einzuverleiben: „Wladimir Putin ist bereit, Militär einzusetzen, der Westen ist es nicht — zu Recht. (…) Für Putin ist das zunächst ein Vorteil, da er weiß, dass ihn niemand militärisch stoppen wird“ (8).
Die gängigste Interpretation ist, dass Putin aufgrund des starken Rückhalts in seinem Land und dem wirtschaftlichen Aufschwung die alten Grenzen wieder errichten möchte; die Krim sei dabei nur der Anfang: „Will er (Putin) nur die Krim annektieren, plant er, sich die Ostukraine einzuverleiben, vielleicht noch mehr vom nahen Ausland an sich zu reißen(…). Und tut er das als angeschlagener Boxer in einem imperialen Rückzugsgefecht — oder glaubt er wirklich eine Art moderner Sowjetunion aufleben lassen zu können?“ (5).
Des Weiteren ist in dem Artikel die Rede von „der russischen Eroberung der Krim“ und Putins „Expansionsplänen“ (5). Putins Haltung zur Sowjetunion wird mit einem Zitat belegt, in welchem dieser sagte, dass der Untergang der Sowjetunion „die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ gewesen sei. Daraus wird gefolgert, dass Putin „den Traum von der Weltmacht, den Anspruch auf ein Imperium, (…)nicht aufgeben mag“ (5).
Hierbei wird die Situation mit zweierlei Argumentation gedeutet: Putins geheimer Plan sei es, die Sowjetunion wieder herzustellen und er habe hierbei mit der „Eroberung der Krim“ einen weiteren Schritt vollzogen. Andererseits sei er dazu bereit, diese Ziele militärisch durchzusetzen und schrecke auch nicht davor zurück, das Völkerrecht zu brechen. Das Narrativ lautet hier: „Russland ist von je her expansionistisch gewesen und betreibt mit der Annexion der Krim diese Politik weiter. Andere baltische Staaten könnten bald die nächsten Opfer des russischen Expansionismus werden und müssen daher von der NATO geschützt werden.“
Das Narrativ der russischen Rückständigkeit
In den Debatten über Russland und deren demokratische Entwicklung ist immer wieder davon die Rede, das Russland die Prinzipien eines demokratischen Staates nicht erfülle und die Meinungsfreiheit mit Füßen trete. So ist die Rede davon, dass Russland „völkerrechtswidrig die Halbinsel Krim mit Truppen unter seine Kontrolle gebracht (hat)“ (6) und Putin bisher „getäuscht, gelogen, gezündelt und das Völkerrecht verletzt (hat)“ (8). Es wird also betont, dass Putin derjenige sei, der sich nicht an völkerrechtliche Maßstäbe hält und daher nicht „unsere“ westlichen Werte vertritt. Er sei derjenige, der „agiert, der Westen reagiert“ lediglich (10). Der Westen sei das Opfer der russischen Aggression in der Ukraine und habe nichts zur Deeskalation der Lage beigetragen (5).
Mit dieser Deutung der Ereignisse soll der Leserschaft klar gemacht werden, dass es Russland ist, dass für die Ereignisse auf der Krim schuldig ist und dass Putin sich vom Westen mit derartigen Handlungen entfernt hat beziehungsweise nicht mehr dazu gehört: „(…) Russland ist nicht Europa. Es wird auch nie Europa sein“ (4).
Russland habe auch nicht, wie hier im Westen, freie und unabhängige Medien, sondern „staatlich gelenkte Medien“, die ihre journalistischen Standards „längst den Wünschen des Kremls angepasst (haben)“ und stetig „Falschmeldungen“ verbreiten würden (11). Generell ist immer wieder die Rede von „staatlicher Propaganda“ und „gelenkten Medien“, die einseitig und hetzerisch über den Westen berichten würden. Zu erkennen ist bei dieser Argumentation ein Ingroup/Outgroup-Denken nach der Devise: Hier der gute Westen, der demokratisch ist und freiheitliche Werte vertritt. Dort der „böse Russe“, der „schon längst nicht mehr zum Westen“ (5) gehört und nicht einmal Teil Europas sei.
Das Narrativ des GUARDIAN
Die folgende Untersuchung bezieht sich auf einen Zeitraum vom 26. Februar 2014 bis zum 31. März 2014 und umfasst 13 Artikel, welche auf TheGuardian.com erschienen sind und teilweise auch in der Print-Version des Guardian veröffentlicht wurden. Der oben genannte Zeitraum begründet sich daher, dass der Konflikt auf der Krim medial ab dem 26. Februar 2014 zunehmend an Aufmerksamkeit gewann. Ab Ende März war im Guardian eine klare Abschwächung der Tendenz der Artikel erkennbar, weshalb der letzte ausgewertete Artikel vom 31. März 2014 ist.
Die Artikel des Guardian sind größtenteils ausführlicher, beleuchten die Hintergründe differenzierter und das Meinungsspektrum ist wesentlich ausgeprägter. Auch auf TheGuardian.com wurden einige Artikel verfasst, die lediglich nachgerichtete Agenturmeldungen sind und daher nicht in die Auswertung mit einflossen. Es sind jedoch wesentlich mehr Meinungsartikel veröffentlicht worden, die klare Narrative erkennen lassen. Diese werden im Folgenden in drei narrative Strukturen aufgeteilt:
Das militärisch-expansionistische Narrativ
In den ausgewerteten Artikeln ist vielfach die Rede davon, dass die westlichen Regierungen einen härteren Kurs gegen Putin fahren müssten, um diesen militärisch einzudämmen: „Targeting the oligarchy worked in Serbia during the assault on Kosova, when NATO targeted Serbia elites’ economic interests, bringing Milosevic to the table. This may bring Putin to the table now.“ In der Kopfzeile des Artikels ist auch zu lesen: „(…)we should respond forcefully before it’s too late“ (12).
Hierbei wird der Vergleich zwischen der Bombardierung Serbiens 1999 gezogen, bei welcher die NATO-Staaten ohne UNO-Mandat und daher wohl völkerrechtswidrig das ehemalige Jugoslawien bombardierten. Selbiges hält der Autor gleichwohl für ein notwendiges Vorgehen, um Putin an den Verhandlungstisch zu bringen. Im Übrigen werden die Umstürze auf dem Maidan als „non-violent“ und „democratic“ beschrieben, der Euromaidan als „Russia’s greatest nightmare“ und militärische Aktionen als „appropiate“ (12).
Bemerkenswert ist, dass in keinem Satz die illegale Absetzung des ukrainischen Präsidenten erwähnt wird und dass zu diesem Zeitpunkt (5. März 2014) noch nicht einmal das Referendum zur Angliederung stattgefunden hatte. In einem Leitartikel, der am Tag der offiziellen Eingliederung der Krim in die russische Föderation erschien, beschreibt der nicht aufgeführte Autor die Angliederung zusammenfassend als einen „illegal, neo-imperialist act“ (13). Die Annexion wurde generell als „military aggression“ beschrieben und die Vermutung geäußert, dass es nicht bei der Krim bleiben würde: „Putin’s objectives are not limited to Crimea. He has a passion to bring the whole of Ukraine under the ultimate authority of Moscow(…).He finds equally unacceptable the independence of Estonia, Latvia and Lithuania“ (14). Es wird also die Vermutung geäußert, dass sich Russland die erwähnten Staaten zurückerobern wolle.
Als Beispiel wird hierfür der Georgienkrieg 2008 erwähnt. Zum Ende des Artikels wird zu militärischen Drohungen aufgerufen: „We must emphasise that the full weight of mutual defence under Article 5 of the NATOr treaty will be available to help them (the baltic states) if they face Russian aggression“ (14). Ob der Autor sich wirklich bewusst ist, was es für die Sicherheitslage in Europa bedeutet, wenn Artikel 5 des NATO Vertrages — „Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff (…) als ein Angriff auf alle angesehen wird“ (15) — im Konflikt mit Russland zur Anwendung kommt, muss zumindest angezweifelt werden. Er beschreibt auf jeden Fall die strategische Ausrichtung des Artikels, der sich unverhohlen dafür einsetzt, dass der Westen sich am Konflikt militärisch beteiligen sollte.
Das Narrativ der westlichen Überlegenheit
„Mr Putin’s Russia, lest we forget, is a country where human rights are trampled on, pro-democracy demonstrators frequently beaten up or jailed, reporters can be murdered, newspapers shut down and inquisitive foreign journalists harrassed and expelled“ (13). Dieses Zitat aus einem Leitartikel zeigt, inwiefern sich der Guardian gegenüber Russland abgrenzt. Der Westen, geprägt von Werten, ist dem rückständigen russischen Reich überlegen, das quasi ein „mafia state“ sei und bei dem man nicht unterscheiden könne zwischen den „activities of the government and organised criminal groups“ (13). Putin sei kein Demokrat und verachte den Westen: „Putin is the autocratic leader of a regime reviled for domestic repression and systemic human rights abuses(…) and holds the west in contempt“ (14). Er verhalte sich wie ein „19th century imperial overlord“, unterdrückt sein Volk mit seiner „propaganda machine“ und ist der „bad guy in this new cold war“ (14).
In der Ukraine wiederum herrsche eine Demokratie („democracy in Kiev“), bei den Protesten auf dem Maidan ging es in erster Linie um Freiheit und westliche Werte und die NATO sei eine „self-defence alliance“ (15). Diese Erzählmuster sind bezeichnend für den Grundtenor des Guardian bezogen auf Russland und die Annexion der Krim. Die Deutungsmuster sind vergleichbar mit jenen Dichotomien zur Zeit des Kalten Krieges und stimmen mit denen der britischen Regierung in vielen Punkten überein.
Während der Recherche stieß der Autor lediglich auf einen moderaten Artikel, der erwähnt, dass die NATO nach dem Zerfall der Sowjetunion Russland versprach, sich nicht bis an die Grenzen Russlands auszudehnen: („(…)that NATO would not expand to Russia’s borders“ (16). Der Autor betont ebenso, und das ist durchaus bemerkenswert, dass in der „pro-westlichen“ Regierung in Kiew „(…)ultra nationalist militias and neo-fascists“ beteiligt seien. Als Vorschlag für eine friedliche Lösung der Krise, schlägt er eine föderale Verfassung vor, die Minderheitenrechte berücksichtigt (16). Mit einem derartigen Friedensvorschlag steht er jedoch quasi alleine da, alle anderen Artikel heizen die angespannte Lage weiter an.
Das historische Narrativ
Der Guardian bezieht sich als historischen Beweis für die russischen Expansionsgelüste auf das Zitat, in welchem Putin den Zerfall der Sowjetunion als „the greatest geopolitical catastrophe of our time“ bezeichnete (17). Daraus wird gefolgert, dass Putin nostalgisch auf die Sowjetunion schaue und die Annexion „Russia’s post-imperial consciousness“ darstelle (17). In einem Gastartikel des ehemaligen Präsidenten Georgiens Micheil Saakaschwili, der kurz vor der Annexion veröffentlicht wurde, warnt dieser ausdrücklich vor einem militärischen Eingreifen Russlands. Er bezieht sich dabei auf die historischen Parallelen während des Georgienkrieges 2008, wobei beide Länder eine gemeinsame Geschichte mit Russland teilen und sich Richtung Europa und der NATO orientierten (18).
Er betont, dass er keine Zweifel daran hat, dass Putin in der Ukraine das gleiche vorhat:„I have no doubt that in Ukraine Russia’s goal is the same as in Georgia“ (18). In einem anderen Artikel wird die Situation auf der Krim mit jener in Nazideutschland 1935 verglichen, als sich das Saargebiet (heute „Saarland“) in einem Referendum mehrheitlich für Adolf Hitler und gegen Frankreich entschied. Die Deutschen hätten damals den gleichen Fehler wie die Bewohner der Krim heute gemacht (19). Der Autor bezeichnet Putin daher als „bad man“ und „thief“.
Die Narrative sind hier sehr ähnlich: Russland habe in seiner Geschichte immer wieder Länder überfallen (Beispiel Georgien) und mit Putin einen starken Präsidenten, der die Grenzen der Sowjetunion wieder herstellen möchte und dies in erster Linie über militärische Aggressionen durchsetzen möchte.
In das Deutungsmuster passt hierbei auch der historische Vergleich mit Hitler, der auch schon von einigen Politikern gemacht wurde und je nach Sachlage immer wieder herangezogen wird.
Zweierlei Maß — eine unendliche Geschichte
Nach der Untersuchung der Narrative des Spiegel und des Guardian lassen sich Narrative erkennen, die für beide Magazine auf ähnliche Art und Weise gelten. Zunächst ist es jene Argumentation, die Russland Bestrebungen unterstellt, die ehemaligen Gebiete der Sowjetunion wieder zu erlangen. Hierbei argumentieren beide Magazine historisch mit dem Verweis, dass Putin den Zerfall der Sowjetunion als „die größte geopolitische Katastrophe unserer Zeit“ bezeichnet hat und er „sowjetnostalgisch“ sei. Darüber hinaus wird auf beiden Seiten erwähnt, dass Putins Vorgehen historisch betrachtet ähnlich dem von Adolf Hitler sei. Im Hinblick auf die Sanktionspolitik übernehmen beide Magazine größtenteils die Argumentationslinien der jeweiligen Regierung.
Wenn man sich die Aussagen der britischen oder deutschen Politiker diesbezüglich ansieht, lässt sich ein übereinstimmendes Deutungsmuster erkennen. Wirklich kritisch ist man gegenüber den Handlungen der NATO und der eigenen Regierung bezüglich des untersuchten Feldes nicht. Kritisch ist man nur beim „Gegner“ — bei anderen fremden Systemen, zu denen auch Russland zählt. Russland als Aggressor, Putin als unberechenbarer, autoritärer Politiker ist „common sense“ beider Magazine. Genauso wie die lösungsorientierte Politik des Westens, die sich auf freiheitlich-demokratische Grundwerte stützt.
Dem guten Willen des Westens werden zweifellos böse Absichten Russlands gegenübergestellt. Die beiden Magazine unterscheiden sich lediglich in der Frage über die militärische Einmischung des Westens, die der Spiegel durchaus kritisch sieht. Der Guardian wiederum argumentiert sehr deutlich, dass man auch eine militärische Intervention des Westens nicht kategorisch ausschließen darf.
Durch diese Art der Interpretation der Lage verschärfen die beiden Magazine den Konflikt. Sie spielen mit einem derartigen Weltbild denjenigen in die Karten, die sich für eine härtere Gangart gegenüber Russland einsetzen, und dürften vor allem bei der NATO auf viel Zuspruch stoßen.
Dadurch werden sie ihrer eigentlichen Aufgabe als Schutzschild der Demokratie, die den Erhalt des Friedens fördert, nicht gerecht. Sie machen sich dadurch auch zum Handlanger zur Durchsetzung geostrategischer Interessen westlicher Kriegstreiber, die jedoch mit den Interessen des Volkes wenig gemein haben.
Als Folge davon werden viele Menschen diese Ansichten übernehmen und sich am Ende womöglich darüber wundern, wie es möglich war, dass es wieder zu kriegerischen Handlungen kommen konnte. Diese müssen mit aller Kraft verhindert werden und dafür ist es jedermanns Pflicht, sich kritisch mit unseren Medien auseinanderzusetzen!